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20. November 2023

Praxistest Mercedes EQS 580 SUV: Summende Wuchtbrumme

Luxus, Leistung, Ladegeschwindigkeit – der Mercedes-Benz EQS SUV gehört nicht nur ob seiner schieren Größe und opulenten Ausstattung zu den Spitzen-Stromern auf dem Markt. Mit der Topversion 580 4-Matic zeigen die Schwaben eindrucksvoll, dass sie auch bei der Elektromobilität zu den Herren im Haus gehören. Und doch kommt man im fast 2,8 Tonnen schweren Koloss über Sinn und Unsinn der batterieelektrischen Mobilität ins Grübeln.

„Hey, wie cool sah das denn gerade aus?“ Der Besitzer des gegenüberliegenden Coffee-Shops reckt anerkennend den Daumen. Bei einem U-Turn mit dem Mercedes-Benz EQS SUV vor seinem Geschäft hat er offensichtlich erstmals eine Allrad-Lenkung in Aktion erlebt. Tatsächlich gerät man auch am Steuer des mächtigen SUV-Stromers immer wieder ins Staunen, wenn das 5,13 lange Gefährt mit einem Lenkradeinschlag wie ein Kleinwagen gefühlt auf der Stelle in die Gegenrichtung dreht. Immer vorausgesetzt natürlich, statt der serienmäßigen 4,5-Grad- ist die optionale 10-Grad-Einstellung am Werk, die selbst in dieser Topversion nicht serienmäßig verbaut ist.

Für urbane Gefilde ist dieses Feature allerdings absolut empfehlenswert, will man sich halbwegs elegant auf engerem Raum und mit passender Rangierfähigkeit bewegen. Auch wenn das angemessene Umfeld für den allradgetriebenen EQS SUV eher die Kiesauffahrt oder der Schotterweg und weniger das städtische Gewusel mit seinen schmalen Wohnstraßen und Zweite-Reihe-Parkern ist. Opulenz und Größe wirken hier schlicht deplatziert, nicht nur wegen des beengten Raums drum herum. Mal vom Marken-Stammsitz abgesehen, wo „der Minischterpräsident von Baden-Württemberg natürlich ein Daimler fährt, baschda“, bleibt man in (Haupt- und Großstadt-)Vierteln mit überwiegend identitätspolitisch geprägten Bewohnern auch mit noch so dickem E-Kennzeichen doch eher ein misstrauisch beäugter Gast. Denn das monolithisch gerundete SUV ist mit seinen Abmessungen eine wahre Wuchtbrumme, zumal mit den beleuchteten Alu-Trittbrettern (1487,50 Euro), die den majestätischen Touch noch verstärken, in der Praxis jedoch eher stören. Zum Ein- und Ausstieg sind sie zu schmal, tritt man dennoch drauf, befindet sich die Körpermitte auf Dachhöhe und man muss sich quasi von oben ins Cockpit hangeln. Und tritt man nicht drauf, wirkt der große Ausfallschritt zu ihrer Überwindung eher ungelenk und sorgt bei Schmuddelwetter für beschmutzte Hosenbeine.

Allerdings, erst einmal hinterm Lenkrad angekommen, sieht die Welt wieder anders aus. Cockpit, Innenraum und Fahrer schwelgen in ebenso luxuriös wie futuristisch anmutendem Ambiente inklusive frei schwebender Mittekonsole in Echtholz und allumfassendem Infotainment. Vor allem mit dem bereits aus dem Limousinen EQS und EQE bekannten Hyperscreen, der auf 1,41 Meter drei Displays – jeweils zwei 12,3 Zoll für Instrumente und Beifahrer sowie 17,7 Zoll für den zentralen Touchscreen – unter einem gewölbten Deckglas vereint und im 580er zur Serie gehört. Acht Prozessorkerne und 24 Gigabyte Arbeitsspeicher sorgen hier für ein multimediales Angebot. Und trotz des ausladenden Formats und der Fülle der Anzeigen sind Menüstruktur und Bedienkonzept intuitiv und logisch aufgebaut, sodass man sich auch als Mercedes-Novize schnell zurecht findet. Dazu kommen Hightech-Extras wie das projektionsfähige Digital Light oder das Head-up-Display mit Augmented Reality, das der EQS SUV ebenfalls von seinen Modellgeschwistern übernimmt.

Auch Materialauswahl und Verarbeitungsqualität werden dem Markenimage mehr als gerecht. Ob Oberflächen, Lederbezüge oder Holzintarsien, was die Finger greifen, fühlt sich gut an. Allein der allzu schlicht geratene Fahrhebel am Lenkrad, den die Schwaben in all ihren Modellen verbauen, will dazu nicht so recht passen. Dafür sind die Multikontursitze inklusive gepolsterter Kopfstützen und Massagefunktion (1737 Euro) eine wahre Wonne, super bequem und für jede Körpergröße individuell einstellbar. Darüber thronte in unserem Testwagen noch ein sehr großes Panorama-Glasschiebedach, dahinter, an den Rückseiten von Fahrer- und Beifahrersitz, das Fond-Entertainment-Paket mit zwei 11,6 Zoll großen Touchscreens, die für Unterhaltung bzw. Ruhe auf den hinteren Plätzen sorgt.

Apropos Rückraum: Dank 3,21 Meter Radstand gibt es Platz in Hülle und Fülle für Mensch und Material, gegen 1904 Euro Aufpreis klappen sogar zwei weitere Sitze aus der dritten Reihe. In unserem Fall fanden fünf Personen bequem Platz, inklusive 645 bis 800 Liter Stauraum im Heckabteil, je nach Position der elektrisch verstellbaren zweiten Sitzreihe, die um 130 Millimeter längs verschoben werden kann. Wird die Rückbank, selbstverständlich ebenfalls elektrisch, komplett umgelegt, stehen auch bis zu 2100 Liter Stauraum zur Verfügung.

Die Wuchtbrumme ist übrigens durchaus wörtlich zu nehmen – auch wenn sie eher summt als brummt. Zwei permanenterregte Synchronmaschinen vorn und hinten, die eine Systemleistung von 400 kW (544 PS) und ein maximales Drehmoment von 858 Nm liefern, wuchten das fast 2,8 Tonnen schwere Flaggschiff so schnell aus den Startblöcken, dass man es kaum glauben mag. Kurze 4,7 Sekunden vergehen aus dem Stand auf 100 km/h und auch auf der Strecke gehören spontane Überholmanöver oder Zwischenspurts zu den leichtesten Übungen des gewichtigen Trumms. Überhaupt lassen die Lenkung mit ihrem präzisen Feedback und die individuell einstellbaren adaptiven Dämpfer den EQS SUV im Handling zwei Nummern kleiner erscheinen. Unterstützt von einem Dynamik-Select-Wählknopf, der über die Modi Eco, Comfort, Sport, Individual und Offroad mit je unterschiedlichen Kennlinien von Antrieb, ESP, Lenkung und Fahrwerk für das passende bzw. bevorzugte Fahrprogramm sorgt.

Dabei bügelt die serienmäßige Zweikammer-Luftfederung mit automatischer Niveauregulierung selbst ruppiges Geläuf und gemeine Verwerfungen im Asphalt glatt. Außerdem fällt die beeindruckende Ruhe und Stille auf, die den alten Mercedes-Werbeclaim „Willkommen zu Hause“ in die Neuzeit transferiert. Und besagte Hinterachslenkung, die in der Stadt mit gegenläufigem Einschlag noch beim Rangieren brillierte, sorgt bei schneller Fahrt durch parallelles Mitlenken für Stabilität und Kontrolle. Allein die Aufbaubewegungen während der schnellen Kurvenhatz belegen, dass der große SUV-Stromer, allen dynamischen Ambitionen zum Trotz, eher in der Komfortzone zu Hause ist.

Gehen doch die sportlichen Aktivitäten nicht zuletzt auch spürbar zu Lasten von Reichweite und Verbrauch. Der lag während unserer Testfahrten im Schnitt stets um die 30 kWh, im Stadt-Land-Mischverkehr mit viel Stop-and-Go ging’s auch mal mit 25 kWh aus, bei forscher Fahrweise aber auch über die 35 kWh. Trotz üppiger 108-kWh-Batterie waren da häufige Ladestopps vorprogrammiert. Die verliefen dafür auffallend zügig. Mit maximal 200 kW Ladeleistung, die sich nach kurzer Zeit bei 150 kW einpendelte, die dann aber nahezu konstant bis zur 80 Prozent-Markierung hielten, ist man schnell wieder flott. Die normierte WLTP-Reichweite von maximal 608 Kilometer hatten wir zwar nie erreicht, doch mit verhalten gleichmäßigem Pedaleinsatz und insbesondere vorausschauendem Fahren waren rund 400 Kilometer immer drin. Durch ein Batterie-Update und den Einsatz einer verbesserten Zellchemie zum Modelljahr 2024 ist der nutzbare Energieinhalt inzwischen auf 118 kWh gestiegen und die Normreichweite konnte auf bis zu 689 WLTP-Kilometer zulegen.

Allerdings darf man sich dann schon fragen, wie nachhaltig so ein gewichtiges Elektro-SUV mit Monsterbatterie dann noch ist. Einerseits säuselt man zwar lokal CO2-neutral und guten Gewissens durch Stadt und Land, andererseits hat man das Emissionsproblem nur hinter die Kulissen verbannt. Ein Update des Fraunhofer-Institut zur Klimabilanz von Elektrofahrzeugen kam 2020 zu dem Ergebnis, dass mit dem zu der Zeit ermittelten Treibhausgaswerten der Batterieherstellung und deutschem Strommix (an dem sich bis heute kaum etwas geändert hat) ein Oberklassefahrzeug mit 120 kWh-Batterie im ungünstigsten Fall „schon rund 230.000 Kilometer für eine positive Bilanz gegenüber einem vergleichbaren Diesel-Pkw“ zurücklegen muss. Das klingt jetzt nicht unbedingt nach einer Verbesserung fürs Klima.

Und dann ist da die andere Frage nach Preis und Erschwinglichkeit. Mercedes-Benz hat sich ganz bewusst die neue Luxusstrategie auf die Fahnen geschrieben, um der Marke wieder mehr Exklusivität zu verschaffen. Ein Grundpreis von 147.923 Euro jedenfalls macht deutlich, dass der EQS 580 SUV weder ein Volumenauto ist noch einen signifikanten Beitrag zur Elektromobilitätswende leisten wird. Auch wenn der Bedarf offensichtlich vorhanden ist. In den ersten drei Quartalen 2023 konnten die Schwaben 26.300 EQS inklusive SUV-Variante absetzen. Unsere Top-End-Fahrzeuge im vollelektrischen Segment erfreuen sich großer Beliebtheit, vor allem der EQS SUV“, sagt Mercedes-Vertriebsvorstandschefin Britta Seeger. Zuletzt allein im dritten Quartal mit 3700 Exemplaren immerhin eine Verdoppelung gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Vom Verbrenner-Pendant GLS wurden in der gleichen Zeit allerdings immer noch 13.300 Modelle ausgeliefert. 

Daten Mercedes-Benz EQS 580 4-Matic SUV

Länge x Breite x Höhe (m): 5,13 x 1,96 x 1,72
Radstand (m): 3,21

Antrieb: 2 E-Maschinen, Allradantrieb, 1-Gang-Reduktionsgetriebe
Systemleistung: 400 kW / 544 PS
Max. Drehmoment: 858 Nm
Höchstgeschwindigkeit: 210 km/h
Beschleunigung 0 auf 100 km/h: 4,7 Sek.
Energieverbrauch (WLTP): 22,8 – 20,0 kWh
CO2-Emissionen (WLTP): 0 g/km
Batteriegröße: 108,0 kWh
Reichweite (WLTP): 594-673 km
Leergewicht (EU)/ Zuladung: min. 2770 kg / max. 565 kg
Kofferraumvolumen: 645-2100 Liter
Basispreis: 147.923 Euro

(Quelle: Frank Wald, cen)


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