08. August 2025
Praxistest Can-Am Canyon Redrock: die Alternative
Der Can-Am Canyon ist so etwas wie das SUV unter den Dreirädern. Der Begriff Enduro würde zu hoch, die Bezeichnung Crossover etwas zu niedrig greifen. Uns kommt am ehesten der Begriff Gravel, wie er inzwischen beim Fahrrad populär ist, in den Sinn.
Mit 26 Zentimetern vorne respektive 23,5 Zentimetern hinten fast doppelt so viel Federweg wie der Spyder und 16- statt 15-Zoll-Vorderrädern mit etwas gröberem Profil sowie 39 Prozent mehr Bodenfreiheit (16 Zentimeter) darf der Untergrund für den Neuzugang durchaus gröberer Natur sein. Zum echten Geländegänger fehlt es dem Canyon am Ende zwar etwas an Bodenfreiheit und noch grobstolligeren Reifen als den Kenda XPS Adventure. Gleichwohl, sollte es auf Weltreise gehen, dürfte er die erste Wahl im Dreirad-Trio von Can-Am sein. Feld-, Wald- und Wiesenwege meistert der Canyon jedenfalls souverän.
Die Internetseite des Herstellers spricht als Einsatzgebiet von „weniger stark befahrenen Straßen“ und einem „abenteuertauglichen“ Fahrzeug. Mit Ausnahme des Basismodells STD kommt aber auch der Tourenkomfort nicht zu kurz. Die Ausführungen XT und Redrock sind unter anderem serienmäßig mit Alu-Koffern und Topcase bestückt. Für den Terrain-Charakter verzichtet Can-Am auf den üblichen Vorbau, so dass der Canyon mit etwas über zweieinhalb Metern Länge gut 30 Zentimeter kürzer ist als seine Geschwister und auch kein Frontstaufach aufweist.
Der 1,33 Liter große Dreizylinder des hauseigenen Motorenherstellers Rotax leistet auch hier 115 PS und hat keine Mühe, das 478 Kilogramm leichte Gefährt flott vorwärts zu treiben. Er schiebt zudem mit üppigen 130 Newtonmetern Drehmoment, so dass im Normalfall bereits bei 2500 Umdrehungen in der Minute der nächst höhere Gang eingelegt werden kann und es im fünften auch mit 50 durch die Stadt gehen darf.
Mühelos dreht der Dreizylinder bis 8000 Touren hoch. In der zweiten Hälfte des bis 9000 Umdrehungen reichenden Drehzahlmessers scheint der Motor noch einmal etwas beherzter zur Sache zu gehen, entfaltet seine Kraft aber linear. Bei etwa 4300 U/min liegt Autobahnrichtgeschwindigkeit an. Je nach Fahrbahnbeschaffenheit sind auf der Landstraße stressfrei beim Überholen 120 bis 125 km/h möglich, auf der Autobahn lässt sich ohne Probleme mit Tempo 140 bis 150 reisen. Der Windschutz ist auch bei höherem Tempo gut.
Wie alle Spyder verfügt auch der Canyon über eine Halbautomatik (inklusive Rückwärtsgang), die per Schaltpaddel an der höher gelegten Lenkstange bedient wird und das Herunterschalten im Zweifelsfall selbst übernimmt. Motorradfahrer müssen sich nicht nur auf den fehlenden Kupplungshebel am direkt ansprechenden Lenker einstellen, sondern suchen auch rechts vergeblich einen Bremshebel. Verzögert wird allein per Fußpedal, das auf alle drei Räder wirkt. Beim Bremsen packt der Canyon kräftig zu, bleibt spurstabil und fordert nur äußerst selten das ABS heraus.
Mehr zu tun hat da schon die Traktionskontrolle, denn angesichts der Motorkraft und Fahrwerksgeometrie neigt das Hinterrad gerne zum Driften, wird aber von der Elektronik rasch wieder eingefangen. Gleiches gilt für den Fall, dass der Can-Am vorne einmal ein Beinchen heben will – sofort nimmt die Stabilitätskontrolle Leistung heraus und bringt das Rad wieder zurück an den Boden.
Der Canyon verfügt für Fahrten auf losem Untergrund noch über einen speziellen Rallye-Modus, der die Assistenzsysteme etwas zurücknimmt. Dazu kommen die drei zusätzlich noch persönlich variierbaren Einstellungen Normal, Sport und Allroad sowie Custom. Auch die Gegenkräfte der dynamischen Servolenkung können in drei Stufen verändert werden.
Das in der Canyon-Ausführung Redrock exklusive semiaktive Fahrwerk von KYB bietet ein sehr hohes Maß an Komfort. Die gute Reisetauglichkeit unterstreichen zudem unter anderem der Tempomat, die per Handrad stufenlos höhenverstellbare Scheibe und zweistufige Heizgriffe auch für den Sozius sowie anpassbare gummierte Offroad-Fußrasten und ein Smartphone-Fach direkt über dem 10,25-Zoll-Touchdisplay. Außerdem ist Apple Carplay an Bord (Android Auto fehlt aus Lizenzgründen), und der Redrock verfügt sogar noch über eine (eigentlich überflüssige) Rückfahrkamera.
Über die riesige seitliche Plastikblende im Fahrerbereich kann man geschmacklich streiten, sie bewahrt den Canyon aber vor Schäden bei Abstechern in die Natur und bietet zudem guten Halt für Fahren im Stehen. Entsprechend geschützt ist auch der Riemen zum Hinterrad. Gut getan hätte eine Blende übrigens noch der Verschraubung des Tanks, die blank hinter dem Lenkkopf zutage tritt und den ansonsten wertigen Eindruck des Fahrzeugs minimal trübt.
Die offizielle Kundenseite von Can-Am nennt die Dreiräder übrigens Motorrad. In dieser Hinsicht dürften sie als die sichersten gelten. Das Frischlufterlebnis ist dasselbe. Gefahren werden dürfen die Modelle der drei Baureihen Ryker, Spyder und Canyon ab einem Alter von 21 Jahren mit dem Pkw-Führerschein. Die umfangreiche Bedienungsanleitung hält Neulingen auch einige Fahrübungen bereit.
Günstig ist das Vergnügen nicht. Der Spaß mit dem Canyon beginnt bei knapp 27.800 Euro, den kleinsten Ryker gibt es ab aber schon ab etwas über 11.000 Euro. Damit rangieren die ungewöhnlichen Fahrzeuge preislich eigentlich genau da, wo sie einzuordnen sind: Zwischen Motorrad und Auto. Vom ersten stammen vor allem das Frischlufterlebnis und der Fahrspaß, vom zweiten die Stabilität und – leider – der Verbrauch. In der Praxis sollten 7,5 bis 8,5 Liter je 100 Kilometer einkalkuliert werden. Uns zeigte der Langzeitwert für verschiedene Fahrer 7,8 Liter als Durchschnitt an. Die gute Nachricht: Das ist immerhin nur knapp einen halben Liter von der Normangabe entfernt.
Daten Can-Am Canyon
Motor: R3, flüssigkeitsgekühlt, 1330 ccm
Leistung: 86 kW / 115 PS bei 7250 U/min
Max. Drehmoment: 130 Nm bei 5000 U/min
Höchstgeschwindigkeit: 180 km/h
Beschleunigung 0-100 km/h: k. A.
Getriebe: 6-Gang-Halbautomatik
Antrieb: Riemen
Tankinhalt: 27 Liter
Sitzhöhe: 843 mm
Gewicht: 478 kg
Normverbrauch: 7,2 l/100 km
CO2-Emissionen: 167 g/km
Testverbrauch: 7,5–8,5 l/100 km
Bereifung: 155/65-15 (v.) / 225/50-15 (h.)
Basispreis: 27.799 Euro (Modell STD)
Testfahrzeug: 34.669 Euro (Modell Redrock)
(Quelle: Jens Riedel, cen)