22. September 2025
Kia EV4: Kompakt statt SUV
Kia bringt noch ein neues Elektromodell – aber diesmal ist es ein kein SUV. Der EV4 ist als vollelektrische Alternative zum Verbrenner-Bestseller Ceed im Segment der Kompaktwagen angesiedelt. Auch wenn er auf den ersten Blick gar nicht danach aussieht. Die Schrägheckversion mit seiner hohen Gürtellinie und wuchtigen Motorhaube könnte auch als Crossover durchgehen. Die bis zur Mitte identische Limousinenversion „Fastback“ irritiert durch einen eher unproportionalen Heckbürzel. Anders sieht die Sache hinterm Lenkrad aus. Die tiefe Sitzposition und das übersichtliche Handling lassen keinen Zweifel, dass man kompakt unterwegs ist.
Der europäische Automarkt ist im Wandel, die Zulassungszahlen belegen es. Zwar beherrschen SUVs weiterhin die Straßenbilder, doch das klassische Kompaktwagensegment bleibt erstaunlich stabil, in Deutschland zuletzt mit einem Marktanteil von knapp 19 Prozent. Genau hier versucht Kia mit dem neuen EV4 anzusetzen, einem vollelektrischen Schrägheckmodell, das als Alternative zum Ceed gedacht ist. Anders als die bisherigen Elektro-Modelle der Marke läuft er nicht in Asien, sondern erstmals in Europa vom Band – im Werk Zilina in der Slowakei.
In der Länge misst der Kompaktwagen 4,43 Meter, bei einer Breite von 1,86 und einer Höhe von 1,49 Metern. Der Radstand liegt bei 2,82 Metern und sorgt für großzügige Platzverhältnisse. Neben dem Schrägheckmodell hat Kia auch den EV4 Fastback ins Programm genommen. Mit 4,73 Metern Länge wirkt er gestreckter, das abfallende Dach verleiht ihm eine fließendere, fast elegante Linienführung. Er unterscheidet sich vor allem durch die stärker betonte Heckpartie, die auf eine Limousinen-Optik setzt. Das kostet ihn etwas Variabilität beim Gepäckraum, der mit klassischem Kofferraumdeckel weniger flexibel ist, dafür aber mit einer glatteren Linie optisch mehr Premiumcharakter bietet. Preislich startet der Fastback bei 41.490 Euro, allerdings ausschließlich in der Earth-Ausstattung. Damit liegt er oberhalb des Schrägheckmodells, das in der Basisausstattung Air bereits bei 37.590 Euro beginnt, in der mittleren Earth bei 39.890 Euro und in der sportlich auftretenden GT-Line mindestens 49.440 Euro kostet.
Das Thema Reichweite kann der EV4 für sich nutzen. Mit bis zu 625 Kilometern nach WLTP in der Kombination mit großem 81,4-kWh-Akku und 17-Zoll-Rädern spielt er nominell in der Spitzengruppe des Segments. Doch wie so oft sind die Zahlen unter Idealbedingungen gemessen. Auf einer ersten Testfahrt lag der Verbrauch im Schnitt zwischen 18 und 20 Kilowattstunden, was realistische 450 Kilometer Reichweite ergibt – immer noch ordentlich, aber doch weit entfernt von den Versprechungen. Mit der kleineren Batterie, die 58,3 kWh speichert, sind es nach Norm rund 440 Kilometer, im Alltag dürfte man deutlich früher nachladen müssen.
Beim Fahren zeigt der EV4 Licht und Schatten. Der Frontantrieb mit 204 PS und 283 Newtonmetern Drehmoment ist für den Alltag mehr als ausreichend. Auf trockener Fahrbahn beschleunigt der Wagen in rund 7,5 Sekunden auf Tempo 100, was flott genug wirkt. In schnellen Kurven wirkt das Auto neutral, im „Sport“-Modus zieht es die Zügel an, die Abstimmung des Fahrwerks zielt insgesamt klar auf Komfort. Auf der Autobahn läuft der EV4 souverän, bleibt leise und stabil, bei 170 km/h ist allerdings Schluss. Für die meisten Käufer dürfte das keine Rolle spielen, wer aber regelmäßig lange Strecken mit hohem Tempo fährt, wird merken, dass die Reichweite dann rapide sinkt.
In der Stadt hingegen überzeugt der Kia durch seine Übersichtlichkeit und die kräftige Rekuperation. Das i-Pedal-System erlaubt One-Pedal-Driving, das sogar im Rückwärtsgang funktioniert. Nach kurzer Eingewöhnung fährt man den EV4 im urbanen Alltag fast ausschließlich mit dem rechten Fuß, was entspannt und den Verbrauch senkt. Die Lenkung ist leichtgängig, aber nicht besonders kommunikativ, beim Einparken machen die Kamera- und Assistenzsysteme vieles einfacher. Auch der Wendekreis von 10,86 Metern ist für ein Auto dieser Größe akzeptabel.
Beim Laden zeigt Kia Pragmatismus. Der EV4 nutzt eine 400-Volt-Architektur und lädt in rund 30 Minuten von 10 auf 80 Prozent – solide, aber nicht herausragend. Schnellere Ladezeiten, wie man sie von den EV-Brüdern EV6 und EV9 kennt, bleiben leider aus. Dafür soll das Plug& Charge-System den Alltag erleichtern, der EV-Routenplaner berechnet Ladevorgänge automatisch, und mit Kia Charge verspricht die Marke Zugang zu fast einer Million Ladepunkten in Europa.
Der Innenraum präsentiert sich aufgeräumt und modern. Das breite Panoramadisplay dominiert das Cockpit, die Bedienung gelingt meist intuitiv, doch manche Funktionen verstecken sich in verschachtelten Menüs. Viel Lob verdient das Platzangebot. Dank des Radstands von 2,82 Metern genießen auch Fondpassagiere großzügige Beinfreiheit, der Kofferraum fasst zwischen 435 und 1415 Liter, auch die Anhängelast von bis zu 1000 Kilogramm ist beachtlich. Der Fastback bietet sogar 490 bis 1435 Liter, die durch die kleine Heckklappe aber sehr viel umständlicher einzuladen sind.
Beim Infotainment ist Kia auf Augenhöhe mit dem automobilen Zeitgeist. Der KI-Assistent soll Befehle in natürlicher Sprache verstehen und mit der Zeit dazulernen. Klappte bei unseren Versuchen für Standardaufgaben noch zuverlässig, komplexere Anfragen führen aber an Grenzen. Die Entertainment-Pakete, von Musikstreaming bis zu Netflix und Gaming, machen Ladepausen zum Vergnügen. Das In-Car-Payment mit Parkdienst klingt zukunftsweisend, ist aber bislang auf wenige Anwendungsfälle beschränkt.
Die Sicherheits- und Assistenzsysteme sind üppig. Schon die Basisversion Air bietet eine beeindruckende Liste, von adaptivem Tempomat über Kollisionswarner bis zum Müdigkeitsassistenten. In höheren Ausstattungen wie Earth oder GT-Line erweitert sich das Arsenal um Autobahnassistenten, Totwinkelkameras oder ferngesteuertes Einparken. In der Praxis funktionieren die Systeme zuverlässig, können aber auch wie üblich nerven: Der Spurhalteassistent greift oft zu streng ein, die Geschwindigkeitswarnungen wiederholen sich penetrant. Immerhin lässt sich manches schnell ab- oder stummschalten.
Mit dem EV4 bringt Kia keinen Billig-Stromer, sondern ein Kompaktmodell, das sich mit Verbrennern der Mittelklasse messen will. Anspruchsvoll, noch nicht ganz perfekt, aber als Beweis, dass Elektromobilität in Europa auch jenseits der SUV-Dominanz funktionieren kann.
(Quelle: Frank Wald, cen)