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16. September 2023

Fahrbericht Nio ET5 Touring: Bei E-Kombis fahren die Chinesen voraus

Kombis, das war einmal eine Domäne der deutschen Autohersteller. Mercedes, BMW, Audi, Volkswagen, Opel – Generationen von Vertretern, Familienvätern und Handwerkern schworen auf Touring, T-Modell, Avant, Variant oder Caravan. Doch mit dem SUV-Boom und der E-Mobilität schienen die praktischen „Kombinationskraftwagen“, wie sie im Behördendeutsch heißen, auszusterben. Ausgerechnet die Chinesen besinnen sich dieser deutschen Tugend und nehmen sich des Elektrokombis an. Den Anfang machte der MG 5, den es seit gut einem Jahr gibt. Auch die Nummer zwei in diesem Segment kommt aus China: Nio ET5 Touring.

Touring ist eigentlich die Bezeichnung der Kombis von BMW. Nio zielt mit dem ET5 offenbar genau auf die Kundschaft der Bayern und der anderen deutschen Premiummarken: Das schnörkellose Design mit wenigen Linien und ohne überflüssigen Zierrat dürfte Audi-Fans ansprechen, die direkte Lenkung und das sportliche Fahrwerk BMWs Stammkundschaft. 489 PS (360 kW) liefert der elektrische Allradantrieb des Nio. Bei einer Beschleunigung in vier Sekunden auf 100 km/h dürften auch Mercedes-AMG-Kunden nichts vermissen.

Premium sind auch die Preise: Der ET5 Touring kostet 47.500 Euro ohne Batterie. Die kann man hinzu leasen: 169 Euro monatlich werden für den 75-kWh-Akku fällig, 289 Euro für den mit 100 kWh. Wer die Batterie kaufen will, zahlt 12.000 Euro für die kleine, 21.000 Euro für die große Version. Komplett kostet der ET5 Touring also ab 59.900 Euro und damit nicht mehr als die Limousine.

Bis zu 560 Kilometer Reichweite soll mit der großen Batterie möglich sein. Auf einer ersten Testfahrt waren es immerhin rund 480 Kilometer. Wenn das nicht reicht und laden zu lange dauert, kann die leere Batterie auch an einer der sieben „Power Sap Stationen“ von Nio gegen eine volle getauscht werden. Das geht vollautomatisch in wenigen Minuten. 100 Wechselstationen plant Nio insgesamt.

Wohltuend aufgeräumt und ohne Schnickschnack ist auch der Innenraum des ET5. Ein großer Bildschirm in der Mitte und ein kleiner vor dem Lenkrad zeigen alles wichtigen Daten und die Navigationsstrecke an. Wie bei der Limousine thront auf der Armaturenbrett „Nomi“, die sprachgesteuerte digitale Assistentin, die leider allzu oft überflüssige Kommentare abgibt: Wer nur kurz die Temperatur der Klimaanlage verstellt, wird sofort ermahnt, doch bitte aufmerksam zu sein. Angebliche Geschwindigkeitsüberschreitungen moniert Nomi umgehend, auch wenn das Tempolimit eingehalten wurde. Da man die elektronische Beifahrerin nicht an der nächsten Raststätte raussetzen kann, muss man mit Nomi leben. Stummschalten geht nur bis zur nächsten Fahrt.

Der Kofferraum des ET5 Touring fast 450 Liter Volumen, davon 42 Liter unter dem Ladeboden. 1300 Liter sind es bei umgeklappten Sitzen. Nicht gerade üppig für einen Mittelklasse-Kombi, aber deutlich mehr als die Limousine bietet. Clever sind kleine Highlights wie eine herausnehmbare Kofferraumleuchte oder ein Kleiderhaken an der elektrischen Heckklappe.

Der Nio ET5 Touring ist ab sofort bestellbar. Die Auslieferung soll im vierten Quartal starten. Die Ehre des Kombi-Lands Deutschland rettet einstweilen Opel: Auch der Astra Electric Sports Tourer ist schon bestellter – mit üppigem Kofferraum (516 bis 1553 Liter) und niedrigem Verbrauch. Den ersten elektrischen Avant von Audi gibt es erst 2024. Auch ein Touring des BMW i5 ist für nächstes Jahr in Vorbereitung. Mercedes hingegen verweist auf seine elektrischen SUV-Modelle. Wenn die Schwaben hier nicht einen Trend verschlafen…

(Quelle: Guido Reinking, cen)